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Neuer § 28b Infektionsschutzgesetz bringt wohl doch Erleichterungen

Autorenbild: Günter Chetano LauGünter Chetano Lau

von Dr. Kay E. Winkler, Rechtsanwalt des Wirtschaftsrechts, Leipzig


23. April 2021



Mit viel Tamtam wurde die „Notbremse“ in wenigen Tagen durch das Parlament gedrückt. Die Bremse war bitter nötig und stoppt vor allem DIE Landesregierungen, die in jüngster Zeit weit über das Ziel hinausgeschossen waren. Die in den Medien häufig zitierte endgültige Auflösung der Grundrechte halte ich nach erster Einschätzung für übertrieben.

Vorab sei angemerkt, dass Folgendes meine persönlichen, akademischen Einschätzungen darstellt. Ich bin mir bewusst, dass man das Gesetz anders lesen kann. Allerdings haben wir es mit sehr stark eingreifenden Regelungen zu tun, deren Verstöße mit scharfen Ordnungsstrafen und im Extremfall mit Freiheitsstrafen geahndet werden können. Daher gilt der Grundsatz der Normenklarheit in gesteigertem Maße. Unklarheiten sind zugunsten der Betroffenen auszulegen.

Die folgenden Einschätzungen sollten daher vor allem bei Ordnungswidrigkeitsverfahren oder bei Einzelverfügungen von Ordnungsbehörden zum Tragen kommen. Es macht der Erfahrung nach wenig Sinn, die Verwaltungsgerichte im Eilrechtsschutz zu Rechtsverordnungen zu befragen.

Systematik Dem Wortlaut nach verdrängt § 28b IfSG als Sondergesetz („lex specialis“) in den dort enthaltenen Regelungsgegenständen die allgemeineren Regelungen der §§ 28, 28a IfSG. Damit entfällt für die in Absatz 1 Nr. 1 bis 10 genannten Bereiche (Zusammenkünfte, Aufenthalt, Freizeiteinrichtungen, Ladengeschäfte etc.) die Regelungsbefugnis der Bundesländer. Gleiches gilt nach Absatz 3 für Schulunterricht und nach Absatz 4 für Versammlungen. In Bezug auf die Verpflichtung zur Fernarbeit (Remote Work, Homeoffice) ist Absatz 7 abschließend.

Zuzugeben ist, dass laut Begründung die Bundesregierung die Weitergeltung der Rechtsverordnungen der Länder beabsichtigte. Dies findet im Wortlaut des Gesetzes jedoch keine Stütze. Nach Absatz 5 bleiben weitergehende Schutzmaßnahmen auf Grundlage dieses Gesetzes unberührt. Dieser Satz stellt eben keine Ermächtigung der Bundesländer zum Erlass von Rechtsverordnungen dar. Der Anwendungsbereich des Absatz 5 kann sich folglich systematisch nur auf anderes Bundesrecht beziehen.

Auch ist das Wort „weitergehend“ nicht so zu verstehen, dass strengere Regeln oder Verpflichtungen auferlegt werden können, sondern lediglich, dass der Anwendungsbereich ausgeweitet werden könnte.

Schließlich hat der Wille der Regierung die Ausschuss-Beratung nicht überlebt. Der Gesundheitsausschuss hat § 28b ausdrücklich aus dem Anwendungsbereich des § 32 (Erlass von Rechtsverordnungen) ausgenommen: „Die Änderungen in § 32 IfSG berücksichtigen, dass es sich bei den §§ 28b und 28c um Regelungen und Verordnungsermächtigungen handelt, die nicht durch Rechtsverordnungen der Länder umgesetzt werden können.“ Für Rechtsverordnungen in den Regelungsbereichen des § 28b bleibt daher kein Raum.

Im Übrigen bestünde für die Länder selbst bei anderer Lesart (die die Systematik bewusst verkennt) eine erhebliche Begründungshürde, warum in ihrem Zuständigkeitsbereich eine Verschärfung gegenüber den parlamentarisch gesetzten Regelmaßnahmen erforderlich sein sollte. Im Hinblick auf die bisherige Unfähigkeit der Landesregierungen, auch nur eine einzige Maßnahme stichhaltig zu begründen, sehe ich kaum eine Chance, diese Hürde zu überspringen.

Private Zusammenkünfte Diese Regelung sollte in der Praxis kaum eine Rolle spielen. Zunächst ist klarzustellen, dass nur private Zusammenkünfte betroffen sind. Öffentliche Zusammenkünfte sind weder im öffentlichen noch im privaten Raum erfasst. Die Beschlussempfehlung des Gesundheitsausschusses meint: „Kontakte, die der Ausübung einer beruflichen Tätigkeit, der Teilnahme an Maßnahmen des Arbeitskampfes, der Wahrnehmung politischer Mandate, ehrenamtlicher Tätigkeiten, behördlicher Termine usw. dienen, sind keine Kontakte im Rahmen privater Zusammenkünfte im Sinne der Vorschrift; das gilt ebenso für Kontakte im Rahmen der Tätigkeit politischer Parteien wie etwa Aufstellungsverfahren. Gleiches gilt für Kontakte, die durch die Wahrnehmung von Pflege- und Assistenzverhältnissen entstehen.“ Damit wären Vereinssitzungen, Gesellschaftsgründungen, Beratungen, therapeutische Gespräche usw. eindeutig nicht erfasst. Auch das Treffen des Kegelvereins fällt wohl nicht unter diese Regelung, insbesondere wenn es für die Öffentlichkeit bestimmt ist. Ferner ist das Regelungssubjekt nicht bestimmt. Zusammenkünfte an sich können keine Handlungen begehen.

Entscheidend ist aber, dass die Regelung kein Verbot ausspricht. Sie stellt lediglich fest, dass eine Gestattung nur unter bestimmten Bedingungen erfolgen darf. Damit greift die Regel nur in Fällen, in denen bereits ein grundsätzliches Verbot einer Zusammenkunft besteht.

Aufenthalt von Personen Diese Regelung hat den größten Protest ausgelöst. Sie untersagt den Aufenthalt von Personen außerhalb von Wohnungen und Unterkünften. Warum das Wort „Person“ genutzt wurde, erschließt sich nicht. Gemeint sind wohl (aber es bleibt unklar) Menschen im Sinne von § 1 BGB. Vielleicht ist die Wortwahl Ausdruck der Missachtung der Menschenwürde.

Allerdings ist ein „nächtliches Reiseverbot“ (Bild-Titel von heute) nicht geregelt. Aufenthalt meint nach allgemeinem Sprachgebrauch ein statisches Verbleiben in einem abgegrenzten Bereich. Der Aufenthalt in einem Raum zum Beispiel, der nicht als Unterkunft dient, wäre damit untersagt. Allerdings ist das Arbeiten im Büro weiterhin gestattet (Buchstabe b). Gleiches gilt für andere nach Art. 12 GG geschützte Tätigkeiten, wie zum Beispiel die Ausübung einer gerade aufgenommenen freiberuflichen Tätigkeit als Journalist, Blogger, Fotograf, Schriftsteller o.ä.

Nicht vom Aufenthalt außerhalb einer Wohnung sprechen wir bei Reisen oder generell bei Fortbewegungen. Wir sagen ja nicht: ich habe mich zwischen Frankfurt und Berlin im Auto aufgehalten. Sondern: ich bin von Frankfurt nach Berlin gefahren. Es wäre auch gar nicht anders regelbar. Denn wenn jemand von einem Landkreis mit einer Inzidenz von 50 in einen mit 70 fährt, kann es ja sein, dass er Landkreise mit über 100 durchfahren muss.

Unterkünfte dürften auch Wohnwagen und Zelte sein. Camping ist also erlaubt. Die Datsche gilt auch als Unterkunft.

Freizeiteinrichtungen Spaßparks und Diskos bleiben zu. Fitnessstudios wurden in den Ausschussberatungen noch extra eingefügt. Campingplätze gehören nach der Aufzählung nicht dazu.

Ladengeschäfte und Märkte Weitere Erleichterungen gibt es im Bereich der Ladengeschäfte. Zwar gilt das Regelverbot für „Handelsangebote“. Allerdings sind weitgehende Ausnahmen (ähnlich wie bisher) erfasst. Zudem betrifft die Schließung Dienstleister oder Werkstätten nicht. Nicht mehr gültig sind Regelungen, wonach ein bestimmter Teil des Angebots oder des Umsatzes den typischen Produkten eines erlaubten Geschäftstyps entsprechen muss. Vielmehr ist das übliche Sortiment des jeweiligen Geschäfts maßgeblich. Es kommt also auf die individuelle Definition des Inhabers an.

Gleichfalls müssen keine Masken mehr im Freien vorgesehen werden. Eine sinnvolle Erleichterung für Wochenmärkte mit Lebensmitteln. Gleiches gilt für Parkplätze und ähnliche sinnfreie Regelungen der Bundesländer.

Das Personal und die Begleitung von Kunden müssen ebenfalls keine Maskenregeln beachten. Die erlaubten Geschäftstypen sind von der Ausnahme nur erfasst, wenn ihre Kunden eine Maske (FFP2 oder Mund-Nasen-Schutz) tragen müssen. Diese Regelung meint wohl, dass die Geschäfte dies per Hausordnung (z.B. durch ein Schild am Eingang) festlegen müssen. Dabei sind die Ausnahmen nach Absatz 9 zu beachten. Die dortigen Ausnahmen sind nicht mehr glaubhaft zu machen. Ein Recht oder gar eine Pflicht der Ladeninhaber, die Ausnahmen zu kontrollieren gibt es nicht. Wichtig ist auch, dass Kunden keine unmittelbare Pflicht zum Tragen einer Maske auferlegt wird und daher auch nicht durch Unterlassen eine Ordnungswidrigkeit begehen können.

Gaststätten Die bisherigen Regelungen bleiben in etwa bestehen. Gaststätten müssen sich Konzepte überlegen, wie ein Abverkauf möglich ist. Positiv ist, dass auch hier keine Maskenpflicht besteht. Denkbar wären z.B. Lieferungen in einen No-Service-Biergarten, in dem selbst keine Speisen oder Getränke angeboten werden.

Körpernahe Dienstleistungen Sind in etwa wie bisher untersagt. Allerdings sind Dienstleistungen, die medizinischen, therapeutischen, pflegerischen oder seelsorgerischen Zwecken dienen, ausdrücklich von dem Verbot ausgenommen. Fußpflege und Friseure sind mit Test und FFP2-Maske erlaubt. Personenbeförderung Die Regelungen zum Tragen einer Atemschutzmaske gelten für den öffentlichen Personennah- und -fernverkehr. Sie gilt nicht an Haltestellen, aber in Einrichtungen, die zum jeweiligen Verkehr gehören. Damit können Bahnhöfe und Flughäfen gemeint sein. Die Regelungen über die Befreiung gelten auch hier. Die Befreiungsgründe müssen nicht glaubhaft gemacht werden. Eine Kontrollberechtigung durch das Personal besteht nicht.

Übernachtungsangebote Hotels und Pensionen können wieder öffnen. Sie dürfen lediglich keine Angebote für touristische Zwecke aussprechen. Nicht zu touristischen Zwecken gehören wohl berufliche Nachfragen, denn ansonsten wäre die Einschränkung auf Tourismus nicht sinnvoll und man hätte Übernachtungsangebote insgesamt ausgeschlossen. Dazu gehören selbstverständlich auch Übernachtungen von freiberuflichen Künstlern, Schriftstellern, Fotografen usw. und Angebote im Rahmen von Seminaren und beruflicher Weiterbildung. Ferner dürften medizinische, therapeutische oder religiöse Zwecke nicht erfasst sein, wenn man dem Sinn und Zweck der Vorschrift nach gehen will. Ansonsten müssten zum Beispiel auch Krankenhäuser zu machen. Den Betrieben würde ich empfehlen, sich vom Gast bestätigen zu lassen, „nicht für touristische Zwecke zu übernachten.“ Maskenpflichten gelten jedenfalls nicht.

Inzidenz unter 100 Was bei einer Inzidenz unter 100 passiert, regelt Absatz 2: Die Maßnahmen treten am übernächsten Tag außer Kraft. Auch diese Regelung liest sich als abschließende Bestimmung. Dies würde zu einer binären Rechtsfolge führen: Ab 100 gelten die Maßnahmen, darunter nichts, und bei Überschreitung wieder alle. So der Wortlaut.

Wollte man entgegen dem Wortlaut § 28a wieder aufleben lassen, müssten die Länder jedenfalls bei den Maßnahmen in ihrer Schärfe deutlich hinter den Regelungen zurückbleiben. Denn der Gesetzgeber hat zum Ausdruck gebracht, dass die Maßnahmen für die Gefahrenrisiken bei einer 100er Inzidenz gelten. Konsequenterweise ist bei geringerer Gefahrensituation eine geringere Maßnahmentiefe angemessen.

Fazit Soweit meine erste Einschätzung zu den wichtigsten Neuregelungen. Wie vorstehend erkennbar, sind viele Fragen neu aufgeworfen worden und die angestrebte Vereinfachung und Klarheit der Regelungen wurden nicht erreicht. Allerdings scheinen die Maßnahmen entschlackt und in der Praxis einfacher zu handhaben zu sein, wenn dem hiesigen Verständnis gefolgt wird.

Rechtlicher Hinweis Die Darstellungen auf dieser Seite sollen rechtlichen Laien eine erste Orientierung bieten, können aber eine Rechtsberatung im Einzelfall nicht ersetzen. Für verschiedene Lebensbereiche gelten unterschiedliche Regelungen und es kann nicht ausgeschlossen werden, dass eine Norm sich nach Veröffentlichung verändert oder hier übersehen bzw. falsch interpretiert wurde.

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